Sie sind hier: Home > Bezirk Kulm > Einblick in den Sozialdienst: «Wir arbeiten in einem hochemotionalen Umfeld»

Einblick in den Sozialdienst: «Wir arbeiten in einem hochemotionalen Umfeld»

Ob beim Kindesschutz oder beim Erwachsenenschutz, die Auslastung der Mitarbeitenden des Regionalen Sozialdienstes des Bezirks Kulm ist gross und die Zahl der Mandate nimmt stetig zu. Die Berufsbeistände arbeiten in einem hochemotionalen und belastenden Umfeld, setzen sich mit ihrem Fachwissen, aber auch mit ganz viel Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen für das Wohl ihrer Mitmenschen ein, haben auf der anderen Seite mit Vorurteilen und Misstrauen zu kämpfen. Doch wie sieht der berufliche Alltag einer Beiständin eigentlich aus, was genau ist die Arbeit einer Sozialarbeiterin? Antworten auf diese Fragen und interessante sowie bewegende Einlicke erhielten die Gemeinderäte des Bezirks Kulm im Gemeindesaal Zetzwil aus erster Hand.

Mit dem Ziel, das Verständnis zu fördern und die tagtäglichen Herausforderungen sowie Anforderungen aufzuzeigen, lud der Sozialdienst des Bezirks Kulm die Gemeinderäte der angeschlossenen Gemeinden Beinwil am See, Dürrenäsch, Gontenschwil, Leutwil, Oberkulm, Schlossrued, Schmiedrued, Teufenthal und Zetzwil zu einem Infoanlass ein. «Die Aufgaben eines Sozialarbeiters sind vielseitig und herausfordernd. Sie werden geprägt durch Erwartungen der Klientel, der Gemeinden und des Familiengerichts. Der Vorstand des Gemeindeverbandes Sozialdienst des Bezirks Kulm hat sich daher entschieden, diese Informationsveranstaltung anzubieten», führte die Präsidentin Jacqueline Widmer aus.

«Der Sozialdienst hilft Ratsuchenden bei persönlichen, finanziellen und familiären Schwierigkeiten. Zum Angebot zählen die finanzielle Unterstützung im Rahmen der materiellen und immateriellen Sozialhilfe und das Führen von Beistandschaften und Mandaten im Kindes- und Erwachsenenschutzbereich», so die Erklärung auf der Homepage. Die Ausführungen der Mitarbeiterinnen des Sozialdienstes zeigten schnell, dass diese in einem hochemotionalen und belastenden Umfeld tätig sind, das nebst Fachwissen viel Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen verlangt.

Stets das Kindeswohl im Vordergrund

Wie Sandra Wüst, Co-Stellenleiterin beim Sozialdienst des Bezirks Kulm ausführte, empfiehlt die KOKES (Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz) im Kindesschutz durchschnittlich maximal 50 aktuelle Mandate pro 100 Stellenprozente Fallarbeit einer Berufsbeistandsperson. «In unserem Dienst lag die Belastung im letzten Jahr bei einem 100-Prozent-Pensum zwischen 63 und 70 Fällen. Total wurden 194 Fälle im Fachbereich Kindesschutz geführt», hielt Sandra Wüst fest.

Zahlen, die aufhorchen lassen, die den hohen Bedarf einer höchst sensiblen Thematik aufzeigen. Am Infoabend im Gemeindesaal Zetzwil gaben Margareta Keller und Daniela Strahm interessante und bewegende Einblicke in ihre höchst komplexe Tätigkeit, die oft mit einer grossen emotionalen Belastung einhergeht. Beim Regionalen Sozialdienst sind im Bereich Kindesschutz nebst dem Fachverantwortlichen Werner Meier drei Berufsbeiständinnen angestellt, zusammen teilt sich das Team 260 Stellenprozente. Wie die beiden Berufsbeiständinnen ausführten, steht bei ihrer Arbeit stets das Kindeswohl im Vordergrund. «Wir müssen aber mit dem ganzen Familiensystem arbeiten, das oft total aus den Fugen geraten ist», hielt Daniela Strahm fest. «Eltern, die zerstritten sind, von der Paar-Ebene auf die Eltern-Ebene zu holen ist oft sehr schwierig.»

«Eltern, die zerstritten sind, von der Paar-Ebene auf die Eltern-Ebene zu holen ist oft sehr schwierig.»

Berufsbeiständin Daniela Strahm

Die Fachpersonen zeigten das Beratungsangebot für Eltern, Kinder und Jugendliche auf, gaben Einblicke in ihre Mandatsführung und nannten Gründe für eine Kindeswohl-Gefährdung. «Wird eine solche gemeldet, haben wir drei Monate Zeit für ein Abklärungsverfahren. Dabei gilt es, die beste Lösung für das Kind zu finden und dafür alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen», erklärte Margareta Keller. «Dabei muss man auch aushalten können, dass es dem Kind nicht gut geht», gab sie bewegende Einblicke in Fallbeispiele.

Dass ein Beistand oft nicht mit offenen Armen empfangen wird, versteht sich von selbst. Vielmehr habe man mit Skepsis, Ablehnung und Vorurteilen zu kämpfen, so die Berufsbeiständin. «Im Nachhinein empfinden uns Eltern im Allgemeinen aber als wertvoll. Oft hört man, dass wir es geschafft haben, den Druck aus einer verfahrenen Situation rauszunehmen», erzählte Margareta Keller. «Aber es ist klar, wir arbeiten in einem hochemotionalen und auch belastenden Umfeld.» Und die Zahl der zu bearbeitenden Fälle ist riesig. «Bei einem Pensum von 60 Prozent bearbeite ich derzeit 45 Kindesschutzfälle», merkte sie an.

«Dabei muss man auch aushalten können, dass es dem Kind nicht gut geht.»

Berufsbeiständin Margareta Keller

Die beiden Berufsbeiständinnen nannten als überaus wertvollen Aspekt und als grosse sowie hilfreiche Unterstützung ein gut funktionierendes Team im Rücken, die Möglichkeit eines Austauschs und der Hilfestellung untereinander zu haben. Und genau da liegt der grosse Vorteil einer regionalen Einrichtung, wie es der Sozialdienst des Bezirks Kulm ist.

Hohe Auslastung auch im Erwachsenenschutz

Wie beim Kindesschutz ist auch beim Erwachsenenschutz die Auslastung der Mitarbeitenden des Sozialdienst gross. Hier sind laut KOKES maximal 60 aktuelle Mandate pro 100 Stellenprozente anzustreben. «In unserem Dienst lag die Belastung im letzten Jahr bei einem 100-Prozent-Pensum zwischen 68 und 85 Fällen am Stichtag. Total wurden 181 Fälle im Fachbereich Erwachsenenschutz geführt», beschrieb Sandra Wüst die nachdenklich stimmende Realität.

Interessante Einblicke in ihren Arbeitsalltag ermöglichten Fabienne Hux und Damaris Otten den Gemeinderäten. «Unser Ziel ist es, wenn möglich, eine behördliche Massnahme zu verhindern», führten die beiden aus. Dazu werden Beratungen und Hilfestellungen zu den verschiedensten Themen angeboten, angefangen bei Arbeits-, Wohnungs- und Versicherungsfragen, bei Trennung, Isolation und Vereinsamung, bis hin zum Führen von freiwilligen Lohnverwaltungen bei finanziellen Schwierigkeiten. Anhand von Fallbeispielen zeigten die beiden Beiständinnen auf, wie es zu einer Beistandschaft im Erwachsenenschutz kommt und wie eine Mitwirkungsbeistandschaft, eine Vertretungsbeistandschaft oder eine umfassende Beistandschaft aussehen. «Damit ein Schutzbedarf besteht, muss ein Schwächezustand vorliegen.» Und auch hier ist viel Fingerspitzengefühl gefragt.

«Meistens kommen wir erst ins Spiel, wenn’s brennt.»

Berufsbeiständin Fabienne Hux

«Immer wieder aufs Neue müssen wir beweisen, dass wir es gut meinen mit den Klienten», hielt Fabienne Hux fest. Vertrauen aufbauen, Misstrauen abbauen ist hier das A und O. Als Herausforderungen, mit welchen die Berufsbeiständinnen tagtäglich zu kämpfen haben, nannten die beiden unter anderen den Argwohn aus der Bevölkerung, Zeitdruck, oft fehlende Kooperationsbereitschaft, aber auch den Fachkräftemangel und die vorherrschenden gesellschaftlichen Unterschiede. «Meistens kommen wir erst ins Spiel, wenn’s brennt», so die vielsagende Aussage von Fabienne Hux.

Vereinheitlichung der Prozesse

In der Sozialhilfe wurden beim Sozialdienst des Bezirks Kulm im Jahr 2022 total 163 Fälle geführt. «Die Belastung entspricht ungefähr den Vorgaben der SKOS von 70 Fällen pro 100 Stellenprozent», ergänzte Co-Stellenleiterin Sandra Wüst.

Eleonora Gianelli und Leslie Däster-Sommer gaben den Anwesenden Einblicke in ihre Tätigkeit, zeigten die Dienstleistungen der Sozialhilfe, aber auch die Gründe, warum jemand Sozialhilfe benötigt und sie sprachen über die Zusammenarbeit zwischen Sozialdienst und Gemeinden. Letzteres Thema griff zum Abschluss dieses höchst interessanten Anlasses auch Präsidentin Jacqueline Widmer auf. «Die Belastung von Sozialarbeitenden ist sehr hoch, Ausfälle sind häufig. Grund dafür sind die Komplexität der Fälle, die damit verbundene Verantwortung sowie der Zeitdruck und die mangelnden Ressourcen.» Bei Ausfällen, womit der Sozialdienst auch aktuell gerade zu kämpfen hat, werden die Fälle von anderen Mitarbeitenden übernommen. Die Gemeinden merken davon in der Regel nichts, jedoch kann die Fehlerquote verständlicherweise steigen. «Deshalb will der Vorstand eine Vereinheitlichung der Prozesse zusammen mit den Gemeinden angehen», nannte Jacqueline Widmer einen Lösungsansatz für eine Verbesserung der aktuellen Situation. Viele Ausführungen und Handhabungen werden von den Gemeinden nämlich unterschiedlich gewünscht, was die Arbeit des Sozialdienstes erschwert.

Das Verständnis für die Anliegen des Sozialdienstes, das konnte mit diesem Infoanlass zweifellos gesteigert und deponiert werden. HG.

Verwandte Themen