Urs Zimmermann: «Mir blieb nur das Staunen»
Radsport
Urs Zimmermann: «Mir blieb nur das Staunen»
Er gewann die Tour de Suisse, stand auf dem Podest der Tour de France und gehörte in den 1980er-Jahren zur Weltspitze des Radsports. Heute lebt Urs Zimmermann zurückgezogen in Suhr — und blickt mit Staunen, Ehrlichkeit und erstaunlicher Gelassenheit auf eine Karriere zurück, die ihn an Grenzen führte, ihn prägte und ihn beinahe zerbrach.
Sein Dialekt lässt auf einen Berner schliessen. Doch Urs Zimmermann, geboren am 29. November 1959, stammt aus Mühledorf im Kanton Solothurn. In den 1980er-Jahren war er der beste Schweizer Radprofi. 1984 gewann er die Tour de Suisse, zwei Jahre später wurde er Dritter der Tour de France.
Über diese denkwürdige Tour ist seither viel geschrieben und spekuliert worden. Die Kurzfassung lautet: Die beiden Radsportgrössen und Teamkollegen Bernard Hinault und Greg Lemond waren sich nicht einig, wer die Rundfahrt gewinnen sollte. Und mittendrin stand Urs Zimmermann.
Er erinnert sich: «Viele sagen, ich sei damals der Stärkste gewesen. Ich sehe es so: Wir waren die drei Stärksten.» Am Berg sei er in den entscheidenden Momenten allein und ohne Helfer gewesen. In den Zeitfahren habe er jeweils zu viel Zeit verloren. «Für mich ist das alles längst abgeschlossen. Es lohnt sich nicht, sich hinterher noch den Kopf darüber zu zerbrechen.»
«Ich bin an mir selber gescheitert»
Alle, die Urs Zimmermann gut kennen, sagen: «Er hat niemals Doping genommen!» Doch wie schafft man es «sauber» aufs Podest der Tour de France, wenn die Konkurrenz vermutlich nachhilft?
Zimmermann erklärt: «Ich hatte in jenem Jahr mein Training und meine Ernährung umgestellt und innerhalb kurzer Zeit fünf oder sechs Kilo abgenommen. Ich war buchstäblich ein anderer Rennfahrer geworden.» Am Berg habe er plötzlich gespürt, dass ihn niemand mehr abhängen könne. «Mir blieb nur das Staunen, dass ich das tatsächlich konnte. Vorher hatte ich mir nicht viel zugetraut.»
Bei medizinischer Unterstützung war er immer strikt. «Ich setzte mir Grenzen und ging nie darüber hinaus. Keine Nadel — das war für mich selbstverständlich. Und ein Medikament ist für mich zum Heilen da und für nichts anderes.»
1992 beendete er seine Karriere. «Ich hatte einen märchenhaften Aufstieg. Später gab es gelegentliche Glanzlichter, aber insgesamt wurde es für mich immer schwieriger, das hohe Niveau zu halten.» Mit dem Kampf an der Spitze der Tour de France habe er umgehen können. Schwieriger sei es gewesen, die hohen Erwartungen zu erfüllen, die daraus entstanden.
«Die Unbekümmertheit war weg. Medienauftritte wurden häufiger und intensiver, viele Leute wollten etwas von mir. Da hätte ich jeweils am liebsten die Flucht ergriffen. Letztendlich bin ich an mir selber gescheitert.»
Ein neues Leben in Suhr
Nach seinem Rücktritt fiel Zimmermann in ein tiefes Loch. Er kämpfte mit psychischen Schwierigkeiten und musste ein neues Gleichgewicht finden. Seit rund zwanzig Jahren wohnt er mit seiner Familie in Suhr. «Das geschah eher zufällig, weil sich die Möglichkeit ergab, innerhalb der Familie meiner Frau ein Haus zu erwerben.»
Er wurde Vater und Hausmann, später Familienmann mit zusätzlicher Berufstätigkeit. Rund fünf Jahre arbeitete er im Spital Aarau in der Informatik. «Seit ein paar Jahren betätige ich mich bei der Velostation Trinamo/Bikes2Go als Velokurier und Ferienaushilfe des Stationsleiters. Das finde ich eine gute Sache, das Velo ist das ideale Transportmittel für die Stadt.»
Liebe zum Rennvelo bleibt
Velofahren spielt im Leben des ehemaligen Profis weiterhin eine grosse Rolle. «Praktisch jeden Tag sitze ich auf dem Rennvelo, ausser wenn es regnet oder sehr kalt ist.»
Und wieder staunt er über sich selbst. «Kaum zu glauben, dass ich immer noch so schnell bergauf fahren kann.»
Walter Bäni



