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Die Wahl der Qual

«Haltet durch!», rief ich ihnen heute Morgen auf dem Weg zur Arbeit zu, «nur noch dreimal schlafen, dann habt ihrs geschafft!». Sie, das sind die Wahlplakate am Strassenrand, genauer gesagt die Kandidatinnen und Kandidaten der National- und Ständeratswahlen. Wer ihnen täglich begegnet, kennt sie: die Maja, der Adrian, die Nicole, der Thomas, die Gabriela, der Roman, der Benjamin und und und. Wir sind längst beim Du. Auch früh am Morgen strahlen sie uns an, immer lächelnd, mehr oder weniger perfekt gephotoshopt, daher makellos, gewinnend, motoviert, seriös und vertrauenserweckend. Von früh bis spät, seit Monaten.

Manchmal hat jemand einen Schnauz hingemalt, oder etwas draufgeschrieben mit Filzstift. Dann wird das Plakat ausgewechselt. Gut, einen Schnauz hingemalt haben wir früher als Teenager auch. Der Bart von Roman Wyler aber ist echt und wird immer länger, scheint mir. Der Adrian Schoop sieht seit Wochen ein bisschen bleich aus. Gabriela Suter auch, dafür scheint ihr Lächeln von Tag zu Tag siegessicherer. «Haltet durch!».

Mein Wahlcouvert ist noch ungeöffnet. Ob es in der Küche liegt, oder im Büro, weiss ich nicht. Während ich früher mit Freude meine Liste nahm und herzhaft kumulierte und panaschierte, schreckt mich diesmal die Dicke des Wahlcouverts ab. So viele Listen wie noch nie, so viele Kandidatinnen und Kandidaten wie noch nie. Das ist mir zu viel. Kurz überlege ich, es diesmal ganz sein zu lassen und hier eine Kolumne zu schreiben mit dem Titel «Endlich Nichtwähler!».

Andererseits habe ich noch nie eine Wahl verpasst, seit ich wählen darf. Hatte ich früher die «Qual der Wahl» ist es heute eher eine «Wahl der Qual». Da fällt mir auf: das Q und das W liegen auf der Tastatur nebeneinander, beim schreiben vorhin habe ich prompt «Quahlcouvert» getippt.

Wo bin ich abgeschweift? Ich wollte sie und mich für die Wahlen begeistern und motivieren. Ihnen und mir zurufen: geh wählen! Die Schweiz ist ­super, wir haben viel mehr Parteien zur Auswahl als die USA mit ihren nur zwei, die sich und das ganze Land völlig blockieren. Bei uns flutscht die ­Politik in allen Farben. Wählen sie die Blauen, die Gelben, die Roten, die Grünen, die Orangen! Das dicke Qualcouvert sollte eigentlich leicht zu finden sein in der Küche oder im Büro. Nur noch dreimal schlafen, dann haben wir es geschafft. Dann ist wieder Ruhe für vier Jahre. «Haltet durch!».

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