
Männergrippe
Sie dürfen sich glücklich schätzen, heute einen «Landanzeiger» in der Hand zu haben. Denn es hätte ganz anders kommen können. Es begann wie immer mit einem leichten Kratzen im Hals, einem komischen Ziehen in den Gliedern, einem Druck im Kopf, etwas erhöhter Temperatur. Was für Aussenstehende wie ein leichtes Frösteln wirkt, lässt bei mir die Alarmglocken läuten: Der Untergang naht. Die berühmte Männergrippe hat mich fest im Griff.
Innerhalb von Minuten verwandle ich mich vom vitalen Mann in ein Häufchen Elend. Meine Stimme klingt wie ein rostiges Gartentor nach drei Wintern ohne Öl, mein Blick fleht stumm um Mitleid. Ich ringe nach Luft – nicht, weil die Nase verstopft ist, sondern weil das Leben kurz davorsteht, mich zu verlassen. Wenigstens fühlt es sich so an.
Meine Frau hingegen bleibt unbeeindruckt. Sie wirbelt durch die Wohnung, wirft mir im Vorbeigehen ein «Nimm eine Tablette» zu und räumt seelenruhig die Spülmaschine aus. Die Kinder finden es unterhaltsam, dass Papa in einer Decke eingewickelt auf dem Sofa liegt und leise röchelt wie ein alter Hofhund. Sie bringen eines ihrer Lieblingsstofftiere vorbei – aus Mitleid? Aus Spott? Ich weiss es nicht.
Und dann dieser unfaire Vergleich: Während ich mich tapfer durch 37,8 Grad Fieber kämpfe, hat meine Frau einst ein Kind zur Welt gebracht. Mehrere Stunden. Ohne Jammern. Während ich ihr die Hand hielt, ihr die Schweisstropfen von der Stirn tupfte und mich über die unbequemen Stühle im Gebärsaal ärgerte.
Ja, wir Männer können den Geburtsschmerz nur erahnen. Aber wir sind uns einig: Die Männergrippe ist zwar nicht schmerzhafter – das wäre vermessen –, doch in ihrer Dramatik mindestens ebenbürtig. Und wenn wir nicht liebevoll «aufgepäppelt» würden, ginge es uns bestimmt ans Lebendige.
Doch als ich mich heute wieder in meine Decke kuschle und innerlich schon das Testament diktiere, passiert das Unerwartete: Meine Frau kommt mit einem Thermometer. «Hier», sagt sie, «ich glaub, du hast mich angesteckt.» Drei Stunden später jongliert sie fiebrig zwischen Herd, Gartenarbeit und Politgeschäften, während ich – mittlerweile fieberfrei – das Abendessen geniesse. Leicht beschämt lege ich ihr ein kühles Tuch auf die Stirn und koche Tee.
Da erkenne ich die bittere Wahrheit: Die Männergrippe ist gar keine Grippe. Sie ist ein Charaktertest. Und ich bin soeben krachend gescheitert.