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Solidarität und Realität

Die Gesteins-, Eis- und Drecklawine in Blatten VS ist noch nicht zum Stillstand gekommen, da landen schon die ersten Spenden-Aufruf-Mails im Haus. Verständlich, die Bevölkerung braucht unsere Hilfe. Die Solidarität ist gross. Wenn es Landsleute trifft, noch viel grösser.

Herr und Frau Schweizer sind spendierfreudig. Allein im letzten Jahr gingen bei ZEWO-zertifizierten Organisationen 2,25 Milliarden Franken ein. Das sind 250 Franken pro Kopf – gerechnet mit 9 Mio. Einwohnern. Dazu kommen weitere Organisationen und Spenden, die hier nicht aufgeführt wurden.

Doch wo geht dieses Geld hin? «Alle Spenden über diesen Aufruf fliessen in unseren Fonds für Katastrophenfälle in der Schweiz», schreibt Caritas im Mail am Katastrophentag. «Wenn mehr Spenden zusammenkommen, als die Menschen in Blatten benötigen, werden sie in einer nächsten Inland-Katastrophe eingesetzt.» Das klingt gut.

Caritas und SRK zahlen bereits nach wenigen Tagen erste Soforthilfe-Pauschalbeiträge pro betroffene Person aus. Damit können sich die Geschädigten das kaufen, was sie aktuell am dringendsten benötigen.

Zwar können auch Überbrückungshilfe und später auch Anträge zur Deckung von Restkosten gestellt werden, doch das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) relativiert: «Normalerweise übernehmen die Versicherungen die Kosten für Schäden, die durch eine Naturkatastrophe entstehen. Die Restkosten oder Kosten, die von der Versicherung nicht übernommen werden, müssen Betroffene aber selbst tragen. Wenn diese Kosten die finanziellen Möglichkeiten übersteigen, greifen wir ihnen unter die Arme.» Aha, also erst dann.

Bis Caritas, SRK oder Glückskette – aber auch andere Organisationen – wirklich zur Kassen gebeten werden, vergehen Monate, wenn nicht Jahre. Weshalb? «Zuerst prüfen wir jeden Einzelfall genau und klären ab, ob Unterstützung angezeigt ist. Beiträge werden für Soforthilfe, Überbrückungshilfe sowie zur Deckung von Restkosten geleistet», schreibt das Rote Kreuz. Und weiter: «Das SRK hilft in Härtefällen, wo trotz Versicherungsschutz oder Leistungen anderer Geber immer noch grosse finanzielle Belastungen bestehen bleiben.»

Kontakt sollen die Geschädigten mit den Hilfsorganisationen aber erst aufnehmen, «sobald alle Entscheide von Versicherungen oder anderen Geldgebern schriftlich vorhanden sind und alle Endabrechnungen der Arbeiten für die Räumung und Wieder-Instandstellung vorliegen. Erst ab diesem Moment können die verbleibenden Restkosten berechnet und die Bearbeitung Ihres Gesuchs gestartet werden.»

Da verstehe ich jeden Geschädigten, wenn er den im Caritas-Mail verfassten Satz «Wir sind in Gedanken bei den Betroffenen und stehen ihnen helfend zur Seite» als zynisch betrachtet.

PS: Die Caritas verfügte Ende 2020 über ein Vermögen von 105 Mio. Franken, das SRK über 171 Mio. und die Glückskette über 74 Mio.

Raphael Nadler, Chefredaktor

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