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Von gestohlenen Kirschen oder zwischen verbotenem Genuss und Gesetz

Ich gestehe. Ja, ich bin ein Wiederholungstäter. Meine kriminelle Karriere begann irgendwo zwischen dem zweiten Wanderkilometer und den ersten Veloschweisstropfen – an einem sonnigen Sommernachmittag, als ein Ast mit prallen Kirschen mir förmlich ins Gesicht hing. Und ich tat, was wohl jede andere Person in derselben Situation auch getan hätte: Ich pflückte. Ich ass. Ich genoss. So süss! Und so … verboten?

Denn wie ich kürzlich gelernt habe, befinde ich mich damit auf juristisch dünnem Eis – oder besser¬gesagt: in einer rechtlich fragwür-digen Situation. «Gestohlene Kirschen sind süsser», sagt ein altes Sprichwort. Und offenbar auch illegaler, wie die Rechtsexpertin neulich in der SRF-Sendung «Espresso» beteuerte. Denn die Früchte gehören dem Landbesitzer. Und der hat das letzte Wort – auch bei Gemüse, das nach der meist maschinellen Ernte traurig und verlassen auf dem Feld liegen bleibt.

Dabei hätte ich es ja auch anders machen können. Anhalten. Absteigen. Die Landwirtin suchen. Nachfragen. Zahlen. Oder gar offiziell kaufen. Aber mal ehrlich: Wer macht das schon bei einer Handvoll verführerischer Kirschen am Strassenrand?

Natürlich will ich nicht öffentlich zum Obst-Diebstahl aufrufen. Ich sehe mich selbst als Guerilla-Geniesser, nicht als professioneller Mundräuber, wie es im Duden heisst. Aber da draussen hängen so viele Kirschen, Zwetschgen, Äpfel – oft unbeachtet, manchmal vergessen –, dass es fast schon unhöflich wäre, sie nicht zu probieren. Ausserdem: Wenn ich ehrlich bin, hat mir noch nie ein Apfel so gut geschmeckt wie der, der mich gefühlt anlachte und den ich mit leicht schlechtem Gewissen vom Baum stibitzt habe.

Vielleicht ist es diese Mischung aus Fruchtzucker und Adrenalin, die den Geschmack veredelt. Vielleicht ist es auch nur der Reiz des Verbotenen. Was ich aber weiss: Ich werde in Zukunft öfters fragen. Nicht nur, weil es rechtlich sicherer ist. Sondern weil ich dann mit der Zustimmung des Landbesitzers bestimmt auch mehr nehmen darf. Ganz offiziell. Und ohne mich beim ersten Biss nach links und rechts umzusehen.