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«Jeder von uns will der Schnellste sein»

Während viele andere Menschen 2021 nicht in guter Erinnerung behalten werden, war es für den jungen Rennfahrer Ricardo Feller das Jahr, in dem er den Durchbruch schaffte. Zusammen mit dem Deutschen Christopher Mies gewann er auf einem Audi R8 die ADAC GT-Masters und auf einem Lamborghini Huracán GT3 die Silber Klasse der GT World Challenge. «Das hat mir viele Türen geöffnet, aber ich habe mich dafür entschieden, in diesem Jahr für das ABT-Team erstmals in der DTM zu starten», erzählt das aktuell grösste Schweizer Talent im Automobilsport. «Momentan passt diese Rennserie am besten zu mir. Ich freue mich schon riesig auf den Saisonstart Ende April.» Feller wird dann eine Weiterentwicklung seines letztjährigen Siegerautos pilotieren. Letzteres ist im Showroom der Garage seiner Eltern in Suhr ausgestellt ist und zieht dort noch mehr Blicke auf sich als die exklusiven Sportwagen, die zum Verkauf stehen. Sein künftiger R8 LMS Evo II wird ungefähr 550 PS haben und viel schneller sein als der serienmässige, 600 PS starke Audi RS6 wäre, der ihm als Dienstwagen zur Verfügung steht. «Den Unterschied machen das pickelharte Fahrwerk, das niedrigere Gewicht, die breiten Pneus und die Aerodynamik, die eine stärkere Bodenhaftung erzeugt», erklärt Feller. «Der 10-Zylinder-Saugmotor klingt noch viel lauter als der Achtzylinder-Turbo. »Ohne Gehörschutz würde ich es im R8 gar nicht aushalten!»

Besonnener Fahrer
Obwohl der Aargauer noch sehr jung ist, sagt er von sich, dass er keine Mühe habe, seinen Fahrstil und sein Tempo den Regeln anzupassen, die auf öffentlichen Strassen gelten. «In der Schweiz braucht man oft viel Geduld, um vorwärts zu kommen, aber ich würde nie rasen – dafür ist mir mein Führerausweis zu wichtig.» Bisher hat er nur die eine oder andere bezahlbare Busse für Geschwindigkeitsübertretungen bekommen. Besonnen agiert Feller auch auf der Rennstrecke. «Ich bin mehr der Fahrer, der konstant 99 Prozent seiner Fähigkeiten abrufen kann als jemand, der 103 Prozent riskiert», meint er, schwärmt aber dennoch von den «richtig geilen Zweikämpfen», die es im Tourenwagensport gibt. «Manchmal jagt man sich mehrere Runden lang Tür an Tür über den Kurs, berührt sich seitlich oder fährt dem anderen Mal ins Heck, aber meistens ist das für die Fahrer okay und für die Zuschauer mega. Nur die Teams finden es nicht so toll, wenn sie die kleinen Schäden nachher reparieren müssen …», erzählt Feller schmunzelnd. Ob er mit René Rast, dem dreifachen DTMChampion (2017, 2019, 2020), und dem letztjährigen Gesamtdritten Kelvin van der Linde, aneinandergeraten wird oder als Rookie von seinen erfahrenen Teamkollegen bei ABT Tipps bekommen wird, weiss er nicht. «Ich bin jedoch sicher, dass jeder von uns der Schnellste sein will. Ob wir trotzdem beste Freunde werden, wird man sehen. »

Benzin im Blut
Ricardo wurde 2000 geboren und wuchs im Betrieb auf, den seine Eltern 1989 übernommen haben. «Wenn andere Kinder auf den Spielplatz gingen, habe ich mich lieber in der Tuning- Werkstatt herumgetrieben und meinem Vater zugeschaut, wie er Autos tiefer legte, Karosserien verbreiterte oder auf dem Prüfstand testete, wie viele zusätzliche PS er aus den Motoren herausgekitzelt hatte», erinnert er sich. «Einmal hat es bei einem Ford Cosworth eine Stichflamme gegeben. Das muss wohl die Initialzündung für meine Rennsportkarriere gewesen sein!» Obwohl er auch Freude an seiner Holzeisenbahn hatte, wollte er nie Lokomotivführer werden. Schöne und schnelle Autos faszinierten ihn mehr. Erste Speed-Erfahrungen sammelte Feller auf den Kartbahnen von Roggwil, Wohlen und Lyss. Als Zehnjähriger bekam er von seinen Eltern den ersten Rennkart geschenkt. «Da er viel schneller war als ein Mietkart, traute ich mich die ersten zwei Mal gar nicht, auf die Strecke zu gehen», bekennt er. «Erst im dritten Anlauf machte es Klick. Danach habe ich mich angeschnallt und bin losgefahren.» 2015 wurde er bei den Junioren Schweizer Kartmeister und erzielte beim Campionato Italia Adria vielversprechende Resultate. Darauf wechselte er in die Formel 4, wo er im dritten Rennen seinen ersten und bisher einzigen schweren Unfall erlitt. «Bei einem Überholmanöver hatte mir ein anderer Fahrer keinen Platz gelassen, worauf ich mit hoher Geschwindigkeit auf die Randsteine geriet und in die Luft katapultiert wurde. » Feller musste mit einem Helikopter ins Spital geflogen werden, wo die Verletzung eines Rückenwirbels diagnostiziert wurde.

Glück im Unglück
«Ich kam mit einem blauen Auge davon. Die Saison war gelaufen, aber der Rücken nach drei, vier Monaten ausgeheilt. Ich denke nicht mehr oft daran. Es ist Vergangenheit. Ich schaue nach vorne.» Da es sehr teuer ist, nur schon in der Formel 3 mitfahren zu können, setzte sich Feller in Abstimmung mit seinen Eltern, die ihn immer in jeder Hinsicht unterstützen, 2017 neu zum Ziel, sich im Tourenwagen-Rennsport zu etablieren. Das fiel ihm nicht schwer, da nicht nur die Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel und Lewis Hamilton zu seinen Vorbildern zählen, sondern auch Rallye-König Walter Röhrl und Marcel Fässler, der auf Audi dreimal die legendären 24 Stunden von Le Mans gewann. Da passte es wunderbar, dass Feller ins Talentförderprogramm Audi Sport Racing Academy aufgenommen wurde und dadurch mit erst 16 Jahren als jüngster Pilot in der Geschichte der ADAC GT Masters in dieser Serie starten konnte. Während Feller damals noch im Betrieb der Eltern, in dem heute seine beiden jüngeren Geschwister arbeiten, eine Sport-KV-Lehre machte, kann er nun als Vollprofi vom Rennfahren leben. Obwohl er es sich nun leisten könnte, eine eigene Wohnung zu nehmen, wohnt er gerne weiter im «Hotel Mama» in Bözberg. Alles andere würde gar keinen Sinn machen so viel wie er unterwegs sei. Schon bald geht er mit seinem RS6 wieder auf Dienstreise, diesmal nach Kempten im Allgäu, wo sich der ABT-Hauptsitz befindet. «Es gibt Gespräche mit dem Teamchef, Ingenieuren und Mechanikern. Ausserdem wird meine Sitzschale gegossen, damit alles bereit ist, wenn Testfahren möglich werden», erzählt Feller, der sich bereits auf die Duelle mit der ähnlich potenten Konkurrenz von Porsche, Mercedes, BMW und Lamborghini freut. «Bis zum Saisonstart am 1. Mai in Portugal dauert es zwar noch eine Weile, aber es kribbelt schon gewaltig!»



DTM-Kalender 2022
Im DTM-Kalender 2022 finden sich insgesamt acht Veranstaltungsorte, an denen jeweils zwei Rennen gefahren werden. Wie im Vorjahr werden Fahrer-, Team- und Hersteller-Meister also in insgesamt 16 Rennen ermittelt.
30.04./01.05: Portimao, Portugal
21./22.05: Lausitzring, Deutschland
18./19.06.: Imola, Italien
02./03.07.: Norisring, Deutschland
27./28.08.: Nürburgring. Deutschland
10./11.09.: Spa, Belgien
24./25.09.: Spielberg, Österreich
08./09.10.: Hockenheim, Deutschland



Feller startet auch 2022 im ADAC GT Masters
Ricardo Feller wird nicht nur bei den Deutschen Tourenwagen-Meisterschaften DTM fahren, sondern auch weiterhin am ADAC GT Masters starten. Dieses hat er im letzten Jahr zusammen mit Teamkollege Christopher Mies gewonnen. Sein Auto wird Feller neu aber mit dem 19-jährigen Jusuf Owega teilen. Das verändert die Stellung von Feller im Team: «Bis jetzt war ich immer der junge Fahrer im Auto und hatte einen Routinier an meiner Seite. Nun bin ich derjenige, der einem Nachwuchsfahrer zur Seite steht und ihm hilft, besser zu werden», so der 21-jährige Feller. An zwei Wochenenden wird Feller aber fehlen, da sich der Rennkalender mit der DTM überschneidet. Das ADAC GT Masters startet vom 22. bis 24. April in der Motorsport Arena Oschersleben in die neue Saison, alle Rennen werden bei NITRO samstags und sonntags jeweils ab 12.30 Uhr live übertragen. RAN

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Ricardo Feller